Essay

The following is an essay in German:


Braucht unsere Branche eine Vision? – von Mike Tamm

Mike Tamm, Spielentwickler, ist seit über 40 Jahren in der Branche und hat alle Stufen „durchlebt“, vom Geschäftsführer großer Berliner Spielstätten, berlinweiten Promotion-Aktionen für das Automatenspiel, bundesweiten PR-Kampagnen, Spielstätten- und Großhandelsschulungen in den Anfängen bis hin zu der Entwicklung sehr erfolgreicher Spiele heute. Was ihn besonders auszeichnet, ist sein jahrzehntelanger Umgang mit Spielern – und zwar als Spieler.

CreaTec LogoWir wissen es alle, zu viel Fleisch, zu viel Alkohol, ja selbst zu viel Sport ist nicht gesund. Wir wissen aber auch, Fleisch schmeckt gut und ist für die Ernährung wichtig, Alkohol lässt sich nicht wegdenken aus unserem gesellschaftlichen Leben und unserer Kultur und macht in Maßen getrunken das Leben leichter und schöner und über den Nutzen von Sport, nun, darüber müssen wir nicht reden. Oder?

Glücksspiele gehören seit Urzeiten zur menschlichen Kultur, eben solange heißt es: Glücksspiel ruiniert. Glücksspiel kann finanziell ruinieren, ja, aber es kann und es muss dies keineswegs zwangsläufig tun. Und es gefährdet nicht die Gesundheit wie zu viel Fleisch oder lässt einen körperlich und seelisch verfallen wie es bei Alkohol geschehen kann und auf gar keinen Fall führt es zu schweren körperlichen Schäden oder tötet einen wie es beim Sport geschieht (laut Tages Anzeiger vom 22.06.2013 starb im Schnitt an jedem zweiten Tag ein Schweizer beim Sport).

Ich frage Sie also: Warum heißt es beim Fleisch „zu viel“ oder beim Alkohol „in Unmaßen“, beim Sport „zu waghalsig, leichtsinnig oder unglücklich“, während man beim Glücksspiel diesen Unterschied nicht macht? Da heißt es „Glücksspiel ruiniert“.

Wir alle kennen die Warnung „Glücksspiel kann süchtig machen“. Stellen Sie sich den gleichen Spruch einmal für Fleisch vor: „Fleisch essen kann dick machen“. Aber hallo! Wäre da nicht was los in der Fleischindustrie, solange bis sie durchgesetzt hätte: Zu viel Fleisch essen kann dick machen?

Also: Glücksspiel macht nicht süchtig, ruiniert nicht oder verändert die Menschen irgendwie zu ihrem Nachteil, zu viel Glücksspiel macht das und auch nur manchmal, ganz so wie bei den allermeisten menschlichen Verhalten auch. Und noch etwas: Mal riskant Auto zu fahren, kann um ein Vielfaches folgenreicher sein als mal beim Glücksspiel zu viel zu riskieren. So rum ist das und keineswegs so, wie viele Menschen es hinstellen.

Warum aber sagt das keiner von uns laut und warum ist Glücksspiel in unserer Gesellschaft so sehr verpönt? Aber halt! Ist es das? – Lotto ist Glücksspiel und hat keinen schlechten Ruf. Die meisten Menschen haben nichts dagegen, wenn einer mal nach Las Vegas tourt oder seinen Geburtstag in einem Casino feiert. Sportwetten, Rubellose, Bingo oder Poker kommen bei den Medien viel besser weg.

Sprechen wir es einmal ruhig aus: es ist unser Spiel und es sind unsere Spielstätten, die immer die gröbsten Knüppel zwischen die Beine bekommen. Was ist dafür der Grund? Sind wir so viel anders?

Ja doch, das könnten wir sein! Wir waren und sind professionell, flexibel, modern und vor allem erfolgreich, sehr erfolgreich. Allerdings sind wir das an exponierten Stellen. Gehen Sie einmal durch die Straßen. Was werden Sie sehen? Uns! Von den anderen Glücksspielen sehen Sie zumeist nur kleine Werbetafeln. Könnte das nicht einer der Gründe sein, weswegen wir von den Vorbehalten gegenüber dem Glücksspiel auch am meisten abbekommen?

Es würde jedenfalls erklären, weswegen wir immer im Fokus der Meinungsmache stehen.

Wir sind in dem, was ich mir vorgenommen habe Ihnen zu sagen, nun an einem Punkt, an dem ich Sie fragen kann: „Reicht es Ihnen nicht langsam?“ Verspüren Sie nicht den Wunsch, dagegen anzugehen, dass immer, wenn Sie etwas aufgebaut haben, andere kommen und es wieder einreißen? Sehen Sie, dass unsere Präsenz an vorderster Front des Glücksspiels, ein Problem darstellt, das wir anpacken müssen?

Wenn „Ja“, dann ist es an der Zeit für eine Vision. Die Vision von einer beliebten und geachteten und nicht nur mal geduldeten und mal angefeindeten Branche. Die Vision von einer Branche, die man nicht klein reguliert, wenn sie sehr erfolgreich wird, sondern der man auch dann wohlgesonnen bleibt. Die Vision von einer Branche, auf die man nicht mit Fingern zeigt und der man nicht Steine in den Weg legt, sondern deren gesellschaftlichen Nutzen man wie selbstverständlich anerkennt. Die Vision von einer Branche, die Sinn macht und wichtiger und geachteter Aspekt unserer Gesellschaft ist.

Um dies zu erreichen, müssen wir genau genommen nur zwei essentielle Dinge tun. Wir müssen unseren Kunden, der Politik und der Gesellschaft sagen, was das Positive am Glücksspiel ist. Es gibt eine ganze Menge Bücher, Reporte und wissenschaftliche Untersuchungen, aus denen wir das entnehmen können. Und es gibt viele Möglichkeiten für Initiativen, die wir angehen könnten und die uns helfen, das praktisch Nützliche daraus zu filtern.

Und dann müssen wir ein zweites tun: Wir müssen unsere besten Kunden besser vor deren Leichtsinn und Übermut, vor deren Irrtümern, manchmal verzweifelten Hasards und vor der Versuchung der Übertreibung schützen. Unser größter Feind sind nicht die wissenschaftlichen Untersuchungen, die als Ergebnis Spielsüchtige haben, sondern die hohen Geldverluste einiger Spieler. Die erzeugen nämlich diese Zahlen.

Können sie sich vorstellen, dass man es den Fleischereien durchgehen lassen würde, wenn es immer wieder zu Fleischvergiftungen käme oder wenn unsere Jüngsten in den Sportvereinen ohne Matten turnen oder ohne Knieschoner Fußballspielen sollen? Was, frage ich Sie, wäre das Autofahren ohne Gurt, Airbag und Knautschzonen? Ja, natürlich, viel gefährlicher.

Wir können uns ohne weiteres mit einem „Mea culpa“ an die Brust klopfen, dass wir uns bislang nicht besser vorgesehen haben. Wir lassen zu, dass einige unserer Spieler so etwas wie Koma-Saufen beim Glücksspiel praktizieren und wir schauen weg wie die Wirte früherer Jahre, die ohne mit der Wimper zu zucken zuließen, dass ihre besten Kunden regelmäßig mit Riesen-Räuschen nach Hause wankten.

Wir sind an diesem Punkt, das kann man offen sagen, nicht professionell, flexibel oder modern und darum auch nicht erfolgreich. Die Zeiten haben sich geändert. Die Gesellschaft lässt es nicht mehr zu, dass Menschen durch Zigaretten und Alkohol ihrer Gesundheit schaden oder mit schnellen Autos über die Autobahnen rasen. Sie versucht dies so gut sie kann einzuschränken. Wir werden uns darauf einstellen müssen.

Erinnern Sie sich, als Herr Paul Gauselmann seine unvergleichliche Karriere begann? Er muss zu dieser Zeit ein Visionär gewesen sein. Seine Spielstätten und Spielgeräte brachten die Spielfreude in einem vorher nicht geahnten Ausmaß in unsere Branche. Das ist zwar lange her und die Buntheit und Vielfalt dieser Jahre ist nicht mehr vorhanden. Wir können Sie auch nicht so mir-nichts-dir-nichts zurückholen. Aber wir können eine neue Vision suchen und sie finden.

Wir können etwas von der Spielfreude und Vielfalt zurückholen und vor allem etwas, was damals versucht aber nicht erfolgreich abgeschlossen wurde: Botschaften zu senden, was das Gute an uns ist und worum wir uns um die Gesellschaft verdient machen. Es ist längst überfällig, dass wir das tun.

Unsere Branche braucht eine neue Vision. So wie damals das Automatenspiel aus den „Hinterzimmern“ ins Rampenlicht getreten ist, brauchen wir nun eine Vision, die das Spielsucht-Image, das man uns angehängt hat, hinter sich lässt. Wir haben es verdient anerkannt zu sein.